Geschichte der Heilpflanzenkunde
Altertum
Gewürz- und Heilpflanzen beschäftigten die Menschen bereits seit frühester Zeit. Schon zwei der ältesten schriftlichen Überlieferungen aus China (3.000 v.d.Z.) berichten über Heilpflanzen. In den letzten 500 Jahren vor der Zeitwende waren die Griechen führend auf dem Gebiet der Heilpflanzenkunde. Besonders zu nennen sind Aristoteles und Theophrast im 3. Jh. v.d.Z. Um die Zeitwende und in den ersten Jahrhunderten danach wurde die Heilpflanzenkunde im römischen Reich weitergeführt, vor allem von Plinius und Dioskorides, deren Abhandlungen bis ins 17. Jh. fast unverändert weiterverwendet wurden.
Mittelalter – Klostergärten und Hexenpflanzen
In der Folgezeit bis zum Beginn des 16. Jh. machten im morgenländischen Kulturkreis Medizin und Heilpflanzenkunde große Fortschritte. Berühmt wurde vor allem der arabische Arzt Avicenna. Im Abendland dagegen wurde die Tradition der Heilpflanzenkunde fast ausschließlich in Klöstern gepflegt. Die Klostergärten ermöglichten als Nutzgärten eine autarke Versorgung mit Heil- und Nahrungspflanzen und spielten eine wichtige Rolle in der Pflanzen- und Heilpflanzenkunde.
Vor allem die Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen (Mitte des 12. Jh.) fanden größere Verbreitung. Im frühen Christentum gab es allerdings auch eine tief verwurzelte Abneigung gegenüber den „heidnischen“ Naturwissenschaften. Wie stark im Mittelalter der Aberglaube dominierte, zeigt sich daran, dass in dieser Zeit Heil- und Giftpflanzen fast ausschließlich als Abwehrzauber gegen Hexen und Teufel (Baldrian) oder als Bestandteil von Flugsalben erwähnt wurden, mit deren Hilfe sich die Hexen zum Hexensabbat bewegten. Beispiele sind Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel, die starke Alkaloide enthalten und bei äußerer Anwendung Flughalluzinationen hervorrufen können. Auch der Alraune (keltisch: runa = Geheimnis) wurden seit der Antike magische Kräfte zugeschrieben. Der Grund liegt im Aussehen der zweigeteilten Wurzel, die an eine menschliche Gestalt erinnert (Alraunmännchen und –weibchen).
16. bis 20. Jahrhundert
Erst Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, mit Beginn der Renaissance, verschwanden Aberglaube und Metaphysik allmählich aus der Heilpflanzenkunde. Es erschienen einige hervorragende, reich bebilderte Kräuterbücher. Hier sind vor allem die Werke von Brunfels, Bock, Fuchs und Lonizer zu nennen. Etwa zur gleichen Zeit fanden durch Paracelsus chemische Präparate Eingang in die Medizin. Paracelsus war auch der letzte große Vertreter der Signaturenlehre, die sich von der Antike bis ins 20. Jh. verfolgen lässt. Die Signaturenlehre besagt, dass bestimmte Formen, Farben oder Eigenschaften von Pflanzen einen Hinweis auf ihre Heilwirkung gäben, was jedoch nach heutigem Wissen unzutreffend ist. So wurden Disteln (stachelig) gegen Seitenstechen, Leberblümchen (Blattform leberförmig) gegen Leberleiden und Schöllkraut (gelber Milchsaft) gegen Gallenleiden verwendet.
Im 16. Jahrhundert wurden auch die ersten Botanischen Gärten gegründet (1544/45 in Pisa und Padua, 1609 in Gießen, 1620 in Freiburg als fünfter deutscher Botanischer Garten). Dabei handelte es sich zunächst um reine „horti medici“, das heißt medizinische Gärten zur Erforschung der Heilpflanzen. Die Geschichte der Botanik ist daher eng mit der Geschichte der Heilpflanzenkunde verknüpft.
Moderne Heilpflanzenkunde
Die moderne Heilpflanzenkunde beginnt Ende des 18. Jahrhunderts mit Hahnemann, der als Alternative zur Schulmedizin (= Allopathie), in der Medikamente als Gegenmittel verabreicht werden, homöopathische Mittel (=Ähnliches mit Ähnlichem behandeln) verwendete, die die Körperabwehrkräfte steigern sollen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts fanden dann auch in der Schulmedizin wieder verstärkt Heilpflanzen Eingang, was nicht zuletzt auf die Werke der Pfarrer Kneipp und Künzle zurückzuführen ist.
Durch moderne Labormethoden wurde es möglich, viele Pflanzen auf ihre Inhaltsstoffe zu untersuchen und deren chemische Struktur zu klären. Deshalb kann man Pflanzenextrakte genau bekannter Zusammensetzung und Konzentration herstellen, die als Fertigarzneimittel verwendet werden. Außerdem werden Pflanzenstoffe als Modellsubstanzen für synthetisch hergestellte oder als Ausgangsmaterial für teilsynthetische Arzneimittel verwendet. Die hier erwähnten pflanzlichen Inhaltsstoffe werden von den Pflanzen im Prozess der Biosynthese aufgebaut.
Arnika |
Für einen Großteil der Weltbevölkerung basiert die medizinische Versorgung immer noch (fast) ausschließlich auf pflanzlichen Heilmitteln. Man schätzt, dass weltweit rund 50.000 bis 100.000 verschiedenen Pflanzenarten für medizinische Zwecke genutzt werden, davon allein 7.000 in der chinesischen Medizin. In Europa sind es ca. 2.000. Die meisten in Deutschland benötigten pflanzlichen Rohstoffe für Arzneimittel werden importiert (v.a. aus Osteuropa und China). Ein Teil wird jedoch auch im In- und Ausland in der Natur gesammelt. Dies führt durch Übernutzung zu einer Gefährdung der betroffenen Arten, wie z.B. der Echten Arnika (Arnica montana), die in Deutschland inzwischen unter Schutz steht. |
Moderne Krebsforschung
Auch in der modernen Krebsforschung spielen Pflanzen eine wichtige Rolle. Ein Beispiel hierfür ist die Pazifische Eibe (Taxus brevifolia), deren hochgiftige Nadeln Taxol enthalten. Aufgrund ihrer zytostatischen Wirkung wird diese Substanz zur Herstellung von Krebsmedikamenten in Form von speziellen Infusionslösungen verwendet. Inzwischen kann hierfür auch die viel häufigere Europäische Eibe (Taxus baccata) genutzt werden, die eine Vorstufe des Taxols bildet, welche dann zu Taxol weiterverarbeitet werden kann. |
Europäische Eibe (Taxus baccata) |