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Die Natur zum Vorbild

Thomas Speck und sein Team entwickeln technische Produkte, die auf biologischen Prinzipien beruhen

Von Inspirationen aus der Natur zu technischen Produkten: In der Bionik arbeiten Forschende aus der Biologie mit Kolleginnen und Kollegen aus den Ingenieur- und Materialwissenschaften, der Architektur, Physik und Chemie zusammen. Der Forschungsbereich ist im Botanischen Garten der Universität Freiburg angesiedelt und spielt eine wesentliche Rolle am Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) und dem Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien (FIT). Im Gespräch mit Patrick Siegert erklärt der Direktor des Gartens und Sprecher von livMatS, Prof. Dr. Thomas Speck, worum es in der Bionik geht und welche Rolle der Botanische Garten für seine Forschung spielt.


Bionische Fassadenverschattung Flectofold (c) PBG Univ. Freiburg & ITK Univ.  Stuttgart 540

Für die gelenklose und elastische Fassadenverschattung Flectofold (c) ließen sich die Forschenden von der fleischfressenden Wasserfalle inspirieren. Foto: Flectofold (c) PBG Univ. Freiburg & ITK Univ. Stuttgart


Herr Speck, wie können sich Besucherinnen und Besucher Ihre Arbeit im Botanischen Garten vorstellen?

Thomas Speck: Unsere Einrichtung dient vor allem der Forschung und Lehre, der Garten ist aber auch ein zentraler Ort der Ruhe, den zahlreiche Menschen besuchen, um sich zu erholen und sich an Pflanzen zu erfreuen. Hier präsentieren wir der Öffentlichkeit zudem unsere Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten aus der Bionik und Botanik. Das Forschungsteam und das gärtnerische Team arbeiten eng zusammen. Wir kultivieren etwa 6.000 Pflanzenarten, die teilweise sehr üppig auswachsen, wie zum Beispiel ein etwa 20 Meter hoher Riesen-Bambus im Tropenhaus. Wir können im Botanischen Garten alle Entwicklungsphasen einer Pflanze zeigen und untersuchen. Unsere Gärtnerinnen und Gärtner sind deshalb besonders gefordert, denn sie müssen viel über Botanik wissen.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Bionik. Was genau ist das?

In der Professur „Botanik: Funktionelle Morphologie und Bionik“ und der damit verbundenen Plant Biomechanics Group arbeiten wir daran, Vorbilder aus der Natur zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass wir die Natur einfach nur kopieren. In der Technik verarbeiten wir andere Materialien als in der Biologie, außerdem vergrößern und verkleinern wir den Maßstab bei den technischen Anwendungen. Außerdem haben biologische Konstrukte andere energetische Bedürfnisse als bio-inspirierte technische Materialien und Produkte. Die Bionik ist nach meinem Verständnis ein kreativer Neuerfindungsprozess, an dessen Anfang eine Entdeckung in der Natur steht. Bis zum fertigen bionischen Produkt stehen viele Prozesse, bei denen wir überprüfen, ob die Entwicklungen funktionsfähig und ihre Mechanismen technisch umsetzbar sind. Die Ergebnisse übertragen wir dann mit Partnerinnen und Partnern aus den Ingenieurwissenschaften, Materialwissenschaften, aber auch mit Unternehmen auf erste Prototypen, die wir häufig auch als Patente anmelden.

Was sind das für Prototypen, an denen Sie derzeit auch am Exzellenzcluster livMatS arbeiten?

In einem Projekt arbeiten wir daran, die Venusfliegenfalle mit einem 4D-Drucker künstlich nachbauen. Diese fleischfressende Pflanze benötigt keine externe Energiezufuhr und der komplexe Fangprozess funktioniert ohne zentrale Steuereinheit, also ohne Gehirn. Unser vollständig technischer Nachbau soll am Ende so echt wirken, dass ihn Außerirdische bei ihrer Landung auf der Erde nicht von seinem natürlichen Vorbild unterscheiden könnten. Dieses Projekt soll die Möglichkeiten bionischer Entwicklungen im Sensor-Aktor-Bereich ausloten, bietet aber auch einige Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel als bionischer Greifer. Zusätzlich forscht unser Team an vom Wachstum und den Anhaftungssystemen von Lianen inspirierten Soft Robots, also zu Robotern aus besonders nachgiebigen und von der Natur inspirierten Materialien. Bei ‚GrowBot‘, einem von der Europäischen Union geförderten internationalen Projekt, entwickeln wir solche Roboter, die wie Kletterpflanzen eigenständig Hindernisse überwinden sowie größere Abstände überbrücken. Dies ist zum Beispiel interessant, um Stromleitungen in großer Höhe überprüfen zu können, aber auch für archäologische Forschungen oder für die Suche nach Verschütteten in engen Spalten und Gängen.

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Am Anfang steht die Entdeckung in der Natur, dann erst kommt die technologische Erfindung. Thomas Speck versteht die Bionik als einen kreativen Neuerfindungsprozess. Foto: Thomas Kunz


Und von welchen anderen Pflanzen konnten Sie sich bereits etwas abschauen?

Zusammen mit Partnern aus Architektur, Textiltechnik und Industrie haben wir für Gebäudefassaden bionische Verschattungen entwickelt, die mit gelenklosen und besonders elastischen Bewegungsmechanismen funktionieren. Zu der patentierten Fassadenverschattung Flectofin und zum Flectofold wurden wir von der Paradiesvogelblume und der fleischfressenden Wasserfalle inspiriert. Beide Entwicklungen erlauben eine interaktive Verschattung, die wir auch in unseren Gewächshäusern und im Gärtnerstützpunkt anwenden wollen. Wir vergleichen beide Produkte mit einer herkömmlichen Fassadenverschattung und messen, um wie viel effizienter und zuverlässiger sie funktionieren.

Ihr Team entwickelt auch Produkte im Bereich Leichtbau. Haben Sie dafür ein Beispiel?

In einem anderen Projekt haben wir zusammen mit dem ITV Denkendorf einen technischen Pflanzenhalm entwickelt und patentiert, der als ultra-leichte, hochbelastbare und multifunktionale Struktur in der Luft- und Raumfahrt, der Architektur sowie beim Rudern verwendet werden kann.  Indem wir röhrenartige Strukturen - wie sie in der Halmwand von Schachtelhalmen vorkommen - in Faserverbundstrukturen verbauen, deren Faserwinkel und -verteilung von Bambus- und Pfahlrohrhalmen inspiriert sind, wird das Produkt besonders leicht und stabil. Für verzweigte bio-inspirierte Tragstrukturen verwenden wir auch Faserverbünde, deren äußere Form und Faseranordnung den Verzweigungen bei Kandelaber-Kakteen oder Drachenbäumen ähnelt. Die Struktur lässt sich mit Leichtbau-Beton füllen, was bis zu einem Drittel weniger Betonmasse verbraucht und den CO2-Ausstoß verringert.

Der Botanische Garten existiert seit 400 Jahren. Was wünschen Sie sich für seine Zukunft?

An der Fakultät für Biologie sowie an der gesamten Albert-Ludwigs-Universität ist der Botanische Garten durch die dort laufenden Forschungsprojekte und mit seinen angebotenen Führungen und dem Bionik-Lehrpfad sehr angesehen. Wir erhalten regelmäßig neue Kooperationsanfragen aus der Industrie und werben viele Drittmittel ein. Diese erfolgreiche Arbeit soll auch in Zukunft weiterlaufen. Für die Zeit nach meinem Ruhestand wünsche ich mir, dass der Botanische Garten weiterhin zentral in die Forschung eingebunden bleibt – egal mit welchem Schwerpunkt. Als ehemaliger Präsident des Verbands Botanischer Garten habe ich erlebt, was für einen schweren Stand diejenigen Einrichtungen haben, die von der Forschung abgekoppelt sind. Am Exzellenzcluster livMatS wollen wir zudem eine weitere Professur schaffen, die die biologische Seite der Bionik beispielsweise noch um die Perspektive der Ingenieurwissenschaften ergänzt.  In der Plant Biomechanics Group und im Botanischen Garten stellen Frauen die Hälfte des leitenden Personals. Insgesamt arbeiten in der Bionik im Vergleich zu anderen technischen Forschungsbereichen viele Wissenschaftlerinnen. Diese Entwicklung möchten wir auch in der Zukunft weiter fördern.

Patrick Siegert